‘Okkultes Freiburg’ von Klugermann, Lux, Schellinger (Hrsg.)


Besprechung: Günther Klugermann, Anna Lux, Uwe Schellinger (Hrsg.), Okkultes Freiburg: Ereignisse – Personen – Schauplätze, Kassel: Herkules-Verlag 2015 (1. Aufl.), ISBN 9783945608043

Von Juliane Molitor


Gibt es Orte, die besonders spirituell und daher sicher sind, wenn es mit der Welt irgendwann zu Ende geht? Als ihm diese Frage gestellt wurde, soll ein indischer Guru irgendwann in den 1980er-Jahren um eine Landkarte gebeten und auf mehrere Orte gezeigt haben, darunter die Vulkaninsel Stromboli und Freiburg im Breisgau. Was hat ein aktiver Vulkan mit einer Stadt gemeinsam, die schon Ende des 19. Jahrhunderts wegen der vielen gut situierten Pensionäre, die sie bewohnten, als „Pensionopolis“ bezeichnet wurde? Der Guru wird’s gewusst haben...

Die Studierenden des Historischen Seminars der Universität Freiburg, aus deren Feder oder Laptop dieses Buch hervorgegangen ist, haben sich offenbar mit viel Freude und Engagement auf die Suche nach dem „Okkulten“ in ihrer Stadt gemacht. Die Ergebnisse ihrer Recherchen in Archiven und Bibliotheken stellten sie zunächst auf entsprechenden Stadtrundgängen vor, die auf so großes Interesse stießen, dass dieses Buch nur der logische nächste Schritt war.

27 Stationen werden „erwandert“ und selbst ich als ehemalige Freiburgerin bekomme noch neue Informationen, etwa die, dass der Schriftsteller Karl May 1899 im Waldrestaurant St. Ottilien nach eigenen Aussagen ein spiritistisches Erlebnis hatte, in dessen Verlauf ihm „von drüben“ ein Gedicht diktiert wurde. Karl May befand sich in Gesellschaft seiner Frau, seines Freiburger Verlegers Friedrich Ernst Fehsenfeld und dessen Frau Paula sowie einer Freundin der Verlegerfamilie. Bei dem von diesen fünf Personen gemeinsam beschworenen Geist handelte es sich um den sechs Jahre zuvor verstorbenen Vater des Verlegers. Das Gedicht ist nicht überliefert.

An anderen Stationen erfahren wir etwas über den Priester und Geisterseher Alban Stolz (1808–1883), über Georg von Langsdorff  (1822–1921), der den Spiritismus aus den USA mitbrachte; über den Magnetiseur Carl Hansen, der 1880 in Freiburg gastierte und von der Lokalpresse in den höchsten Tönen gelobt wurde; über Experimente, die der Medizinprofessor Max Schottelius 1912 mit dem Hellseher Ludwig Kahn durchführte, über Theosophen, Freimaurer, Astrologen, das Elektrotherapeutische Institut, noch mehr Hellseher sowie Okkultisten, Heiler und Künstler.

Eine besonders wichtige Rolle spielt der charismatische Professor Hans Bender, Wegbereiter der akademischen Parapsychologie in Deutschland, dessen Vorlesungen als „Benders Geisterstunden“ bekannt und auch bei Studierenden anderer Fachrichtungen äußerst beliebt waren. Das von ihm 1950 gegründete Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) existierte bis 1996 auf der Eichhalde. Bender war Mitglied der 1957 von J. B. Rhine gegründeten Parapsychological Association und im September 1968 Gastgeber der Jahrestagung dieser internationalen Gesellschaft, zu der 140 Teilnehmer aus verschiedenen Staaten, auch des damaligen Ostblocks, eingeladen und untergebracht werden mussten. Die okkulte Welt zu Gast in Freiburg – das war sogar der ZEIT einen ausführlichen Bericht wert.

Als „locus occultus“ wurde Freiburg übrigens erst in den 1980er-Jahren bekannt, und das obwohl das damals wichtigste Organ der Szene gar nicht mehr Okkulte Welt und Okkulte Stimme und auch nicht mehr Die andere Welt hieß, sondern bereits seit 1970 Esotera. Damals bestand das erklärte Ziel der Zeitschrift darin, das „Neue Zeitalter“ (New Age) voranzutreiben und das „olympische Feuer des Geistes weiter und weiter zu tragen, in jedes Haus, Hirn und Herz hinein“, wie im Editorial zu lesen war. Große Worte, die in den 1980er-Jahren wahr zu werden schienen, als sich die Auflage der Esotera auf 60.000 erhöhte und sie zur wichtigsten deutschsprachigen Esoterikzeitschrift avancierte. Ende der 1980er-Jahre war ich Lektorin im Hermann-Bauer-Verlag, zu dem auch die Redaktion der Esotera gehörte. In regelmäßigen Abständen wurde ich mit ein paar unbeteiligten Kolleginnen zum „Hausfrauentest“ in die Redaktion geladen nach dem Motto: Das Cover, das euch Mädels gefällt, verkauft sich bestimmt auch am Kiosk gut. Der Anspruch, in Hirn und Herz jeder „Hausfrau“ hinein zu wollen, widerspricht aber eigentlich dem, was Esoterik wirklich bedeutet, nämlich „Wissen, das nur einem begrenzten ‚inneren’ Zirkel zugänglich ist“. Streng genommen ist Esoterik gar nicht für jedes Hirn gedacht – und was Mainstream sein will, sollte sich vielleicht anders nennen. 1999 wurde die Esotera von ihrem neuen Besitzer, dem „PR-Papst“ aus Düsseldorf, einem Relaunch in Richtung Wellness und Ganzheitlichkeit für die Zielgruppe „weiblich zwischen 30 und 45“ unterzogen, der sich als Anfang ihres alsbaldigen Endes erwies. Die kleine „Labyrinth-Info“, war ein durchaus würdiger Nachfolger, zumindest im Anzeigenbereich. Um die Jahrtausendwende erschien sie in einer Auflage von 10.000 Stück und war an über 70 Orten im Umkreis von Freiburg zu finden.

Und jetzt? Was ist geblieben vom locus occultus Freiburg? Die 1983 gegründete Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie e.V., deren erste Veranstaltungen noch an der Universität durchgeführt wurden, wird heute von der Parapsychologischen Beratungsstelle in der Hildastraße 64 aus verwaltet und am Universitätsklinikum gibt es einen Arbeitsbereich Komplementärmedizinische Evaluationsforschung, der sich unter anderem mit parapsychologischen Fragen beschäftigt.

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